Verratene Revolution · Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie by Trotzki Leo
Autor:Trotzki, Leo [Trotzki, Leo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch-Geschichte & History
ISBN: 9783886341054
Herausgeber: MEHRING Verlag
veröffentlicht: 2009-11-05T00:00:00+00:00
Kapitel 8
Außenpolitik und Heer
Von der Weltrevolution zum Status quo
Die Außenpolitik ist immer und überall eine Fortsetzung der Innenpolitik, denn sie wird von derselben herrschenden Klasse betrieben und verfolgt historisch dieselben Aufgaben. Die Entartung der herrschenden Schicht in der UdSSR musste mit einer entsprechenden Änderung in den Zielen und Methoden der Sowjetdiplomatie einhergehen. Bereits die »Theorie« vom Sozialismus in einem Lande, die zum ersten Mal im Herbst 1924 verkündet wurde, deutete auf den Wunsch hin, die Außenpolitik der Sowjetunion vom Programm der internationalen Revolution zu befreien. Die Bürokratie hatte jedoch nicht im Sinn, dabei ihre Verbindung mit der Komintern zu liquidieren, denn diese hätte sich unvermeidlich in eine oppositionelle internationale Organisation verwandelt mit den daraus folgenden ärgerlichen Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis innerhalb der UdSSR. Im Gegenteil, je weniger die Kremlpolitik sich von ihrem ehemaligen Internationalismus leiten ließ, umso fester nahm die herrschende Schicht das Ruder der Komintern in die Hand. Unter dem alten Namen musste die Komintern nunmehr neuen Zielen dienen. Für die neuen Ziele bedurfte es jedoch neuer Menschen. Ab dem Herbst 1923 ist die Geschichte der Komintern eine Geschichte der vollständigen Erneuerung ihres Moskauer Stabs und der Stäbe sämtlicher nationaler Sektionen, durchgesetzt durch eine Serie von Palastrevolutionen, Säuberungen von oben, Ausschlüssen usw. Gegenwärtig stellt die Komintern einen ganz und gar gehorsamen und jederzeit zu jedem beliebigen Zickzackkurs bereiten Apparat im Dienste der Sowjetaußenpolitik dar.
Die Bürokratie hat nicht nur mit der Vergangenheit gebrochen, sondern auch die Fähigkeit eingebüßt, deren wichtigste Lehren zu begreifen. Die bedeutendste dieser Lehren ist: Die Sowjetmacht hätte keine zwölf Monate überlebt, wären nicht die direkte Hilfe des internationalen, insbesondere des europäischen Proletariats und die revolutionäre Bewegung der Kolonialvölker gewesen. Ihren Angriff auf Sowjetrussland führte die österreichischdeutsche Soldateska nur deswegen nicht zu Ende, weil sie in ihrem Rücken den glühenden Atem der Revolution verspürte. Nach knapp einem dreiviertel Jahr bereiteten die Aufstände in Deutschland und Österreich-Ungarn dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk ein Ende. Die Meuterei der französischen Matrosen im Schwarzen Meer vom April 1919 nötigte die Regierung der Dritten Republik, auf weitere Militäroperationen im Süden der Sowjetunion zu verzichten. Die Regierung Großbritanniens zog im September 1919 unter dem unmittelbaren Druck der englischen Arbeiter ihre Expeditionstruppen aus dem Sowjetnorden zurück. Nach dem Rückzug der Roten Armee vor Warschau im Jahre 1920 hinderte nur eine machtvolle Welle revolutionärer Proteste die Entente daran, Polen zu Hilfe zu kommen, um so die Sowjets zu zerschmettern. Lord Curzon waren, als er 1923 Moskau das drohende Ultimatum stellte, im entscheidenden Augenblick durch den Widerstand der britischen Arbeiterorganisationen die Hände gebunden. Diese leuchtenden Episoden stehen nicht vereinzelt da, sie geben der ganzen ersten, schwierigsten Periode im Dasein der Sowjets die Farbe; wenn auch die Revolution außer in Russland nirgends siegte, die Hoffnungen auf sie waren nicht vergebens gewesen.
Die Sowjetregierung schloss bereits in jenen Jahren mehrere Verträge mit bürgerlichen Regierungen: den Vertrag von Brest-Litowsk vom März 1918, den Vertrag mit Estland im Februar 1920, den Rigaer Frieden mit Polen im Oktober 1920, den Rapallo-Vertrag mit Deutschland vom April 1922 und andere weniger bedeutende diplomatische Abkommen.[82] Weder
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